- Investiturstreit: Sein Ursprung in der Eigenkirche
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Eine Eigenkirche ist ein Gotteshaus, über das der Eigentümer die volle Personen- (»munt«) und Sachherrschaft (»gewere«) besitzt. Diese eigentümliche Herrschaft über eine Kirche hat ihr Vorbild und ihre Basis in der profanen Grundherrschaft; ihre Ursprünge reichen bis in die Spätantike zurück. Die tief greifenden Krisen und Wirtschaftsreformen führten zur allmählichen Auflösung der Stadtkultur, zu einem Verfall der Staatlichkeit und zum Wiedererstarken der Landwirtschaft. Die in das römische Reichsgebiet eingewanderten Völker beschleunigten diesen Prozess, da ihnen städtisches Leben und staatliche Verwaltung fremd waren. Großgrundbesitzer zogen sich auf ihre Güter, ihre Latifundien, zurück und konnten bestimmte, vormals staatliche Rechte für sich reklamieren. So entstanden aus Latifundien allmählich Grundherrschaften. Im Früh- und Hochmittelalter wurde die Grundherrschaft zur bestimmenden Lebens- und Herrschaftsform; eine parallele Entwicklung mit der Übernahme grundherrschaftlicher Rechte vollzog sich auch im kirchlichen Bereich. Jeder grundbesitzende Freie konnte auf seinem Land eine Kirche errichten. Nach grundherrlichem Recht (Hofrecht) hatte er die volle Verfügungsgewalt über Land und Leute. Somit war auch die Kirche sein Eigentum.Der Grundherr setzte die Geistlichen für seine Kirche ein und konnte sie auch entlassen. Dem Bischof blieb nur das Recht, den Priester und die Kirche zu weihen, was er nur in begründeten Fällen ablehnen konnte. Diese Aufteilung der Zuständigkeiten wurde von Seiten der Kirche lange Zeit hingenommen. Oft waren die Geistlichen Unfreie und lebten in großer Abhängigkeit vom Grundherrn. Deswegen bemühten sich die kirchlichen Synoden immer wieder, den persönlichen Schutz und das wirtschaftliche Auskommen des Eigenkirchengeistlichen zu verbessern: Jeder Eigenkirchenherr musste seine Kirche mit einem Sondervermögen ausstatten, über das er aber das volle Verfügungs- und Nutzungsrecht behielt. Die Kirche konnte verkauft, getauscht und verpfändet werden; einzig die Umwandlung in ein profanes Gut war nicht möglich. Es lag im Interesse des Grundherrn, seine Kirche und ihr Sondervermögen betriebswirtschaftlich gut zu führen und eine entsprechende Rendite zu erwirtschaften. Deshalb bemühte er sich, für seine Kirchen das Pfarrrecht zu erlangen, um die Zehntsteuer erheben zu können. Der Grundherr verfügte, dass seine Untergebenen (»grundholden«) ihren kirchlichen Pflichten in seinem Gotteshaus nachkamen, durch Kirchzwang und erhob von ihnen für die dort erhaltenen geistlichen Handlungen Abgaben (»stolgebühren«). So gehörte eine Eigenkirche zu den lukrativsten Investitionen des Frühmittelalters, die auch noch besonderen religiösen Schutz genoss. Neben einer Eigenkirche konnte der Grundherr auch ein Eigenkloster errichten oder erwerben. Er hatte das Recht, den Abt zu bestellen oder als Laienabt das Kloster selbst zu leiten. Überdies kam in der mittelalterlichen Frömmigkeit die Kirchen- und Klostergründung dem Seelenheil des Stifters zugute. Im Heiligen, dem die Eigenkirche geweiht war, hatte er einen himmlischen Beschützer und Fürsprecher; Kirchen und Klöster dienten als Grablege für die Stifterfamilie.In den mittelalterlichen Agrarstaaten leistete das Eigenkirchenwesen einen wichtigen Beitrag zur Christianisierung der Landbevölkerung. Bedeutende Eigenkirchenherren waren die Könige, Bischöfe, Äbte großer Klöster und hohe Adlige, da nur sie über großen Grundbesitz verfügten. Die Karolinger zogen erstmals Bischöfe und Äbte zur Verwaltung und Verteidigung des Reiches heran. Damit sie ihre »staatlichen« Aufgaben bewältigen konnten, statteten sie sie mit Reichs- und Königsgut aus. Zugleich verliehen sie den bischöflichen und klösterlichen Grundherrschaften Immunität, wodurch sie nicht der allgemeinen Verwaltung des Reiches, sondern direkt dem König unterstellt waren. Durch die Übertragung von Hoheitsrechten (Regalien) und gräflich-herzoglichen Befugnissen wurden in der Folgezeit aus den Bischöfen und Äbten königliche Herrschaftsträger. Kirchengut und Reichsgut vermischten sich zum Reichskirchengut. Diese Politik wurde unter den ottonisch-salischen Königen noch verstärkt. In den von ihnen besonders reich ausgestatteten Klöstern und Domstiften wuchs ein königs- und reichstreuer Klerus heran. Aus ihm wählten die Könige die zukünftigen Bischöfe und führten sie in ihr Amt ein; diese Einsetzung in ein geistliches Amt ist die Investitur. Mit ihr wies der König die Bischöfe in den Aufgabenbereich ein, der mit der Übernahme des Reichskirchenguts verbunden war. Der König verfügte wie ein Eigenherr über das Reichskirchengut. Er besaß im sachrechtlichen Sinn die »obergewere« und übertrug durch die Investitur die Nutzung des Reichskirchenguts auf die Bischöfe. Damit waren diese zugleich im personenrechtlichen Sinn dem König zugeordnet. Durch die Verbindung von geistlichen und weltlichen Aufgaben wurde aus dem Bischofsamt ein priesterlich-königliches Reichsamt. Der König sah in der Investitur keine Überschreitung seiner Machtbefugnisse: Im Selbstverständnis, von Gott eingesetzt und durch die Königsweihe in die priesterlich-sakrale Sphäre erhoben zu sein, sah er sich auch für den religiös-kirchlichen Bereich zuständig. Zum offenen Konflikt zwischen eigenkirchlichem Denken und sakraler Königswürde einerseits und dem Ruf nach der »Freiheit für die Kirche« (»Libertas Ecclesiae«), wie er in den gregorianischen Reformkreisen erhoben wurde, andererseits kam es dann im 11. Jahrhundert zum Investiturstreit.Aloys WenerFrank, Isnard Wilhelm: Kirchengeschichte des Mittelalters. Düsseldorf 31994.Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Graz u. a. 31995.
Universal-Lexikon. 2012.